Der erste Eindruck täuscht: Hinter der niedlichen Fassade von Tunic steckt ein betont knackiges Action-Abenteuer, das sich zwar ordentlich bei Zelda bedient, aber auch viele eigene Stärken hat. Im Test klären wir, warum Tunic oft richtig Spaß machen kann – und wer sich den Kauf trotzdem gut überlegen sollte.
An Vorbildern mangelt es Tunic nicht: Da werden Meilensteine wie The Legend of Zelda und Dark Souls zitiert, aber auch Indie-Hits wie Hyper Light Drifter, Fez oder das unterschätzte Hob haben ihre Spuren hinterlassen. Fast sechs Jahre Entwicklungszeit stecken in Tunic, das größtenteils vom Indie-Entwickler Andrew Shouldice ausgetüftelt und umgesetzt wurde. Das Ergebnis seiner langen Mühen: Ein cleveres Kleinod für Entdecker, die eine Herausforderung suchen. Knackige Kämpfe und knifflige Rätsel stellen auch erfahrene Spieler auf die (Gedulds)Probe, blutige Anfänger machen am besten gleich einen Bogen um das Spiel.
Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem motivierenden Abenteuer belohnt, das mit der Zeit seine ganz eigene Identität entfaltet und sich dann deutlich von anderen “Indie-Zeldas” abhebt. Trotz mancher Frustmomente konnten wir Tunic irgendwann kaum noch aus der Hand legen und selbst nach dem Durchspielen locken uns immer noch ein paar ungelöste Rätsel zurück. Eine uneingeschränkte Empfehlung geben wir Tunic aber trotzdem nicht. Im Test klären wir, was ihr vor dem Kauf wissen müsst.
Schon die Eröffnungsszene könnte aus Link’s Awakening stammen: Eure Spielfigur – ein kleiner Fuchs in grünem Gewand – erwacht ohne Ausrüstung, Hinweise oder Ziel an einem Strand. Doch noch bevor man sich fragt, was man überhaupt zu tun hat, sticht schon der eigenwillige Grafikstil ins Auge: Tunic setzt auf einen polygonarmen, bewusst klobigen Look, der mit sanften Farbtönen, klug eingesetzten Unschärfe-Effekten und ausgefeilter Beleuchtung eine wunderschöne Diorama-Atmosphäre versprüht.
Der Clou daran: Das gesamte Spielgeschehen wird aus einer isometrischen Draufsicht präsentiert, ihr dürft die Kamera also nicht frei bewegen, sondern lediglich mit einer Schultertaste neigen. Das führt dazu, dass ihr manche Teile der Umgebung schlichtweg nicht einsehen könnt, weil sie von der Levelgeometrie verdeckt werden – und genau in diesen Ecken haben die Designer bevorzugt ihre Geheimgänge und Schätze versteckt.
Tunic zu meistern heißt darum auch, wirklich jeden Winkel stoisch abzusuchen, ganz egal wie oft man vielleicht schon daran vorbeigelaufen ist. Ihr werdet überrascht sein, über wie viele Abkürzungen und Schatzkisten ihr selbst nach vielen Stunden noch stolpern werdet!
Kleiner Fuchs mit großen Anspruch: Lasst euch nicht von der niedlichen Optik täuschen! Quelle: Finji
Ein weiterer Grund, weshalb man vieles erst spät (oder vielleicht gar nicht) entdeckt: Tunic lässt euch lange Zeit im Dunkeln darüber, wie es funktioniert und worum es überhaupt geht. Die Fantasywelt ist auf den ersten Blick unbewohnt, ihr findet nur ein paar Hinweisschilder, doch die meisten Texte darauf sind in unleserlichen Symbolen gehalten, die euch nicht weiterbringen.
Nur selten tauchen auch lesbare Wortfetzen auf, die zumindest eine grobe Richtung vorgeben: Ihr müsst magische Glocken läuten, Schlüssel sammeln, ein Tor öffnen und irgendein altes Unheil besiegen – und wie man das alles anstellt, sollt ihr bitteschön selbst rausfinden. Tunic mag viele Stärken haben, doch die löchrige Story ist definitiv keine davon.
Fordernd: In den Kämpfen müsst ihr oft blitzschnell ausweichen oder Angriffe blocken. Quelle: Finji Anfangs seid ihr noch unbewaffnet, doch schon nach wenigen Minuten erhaltet ihr einen Stock und kurz darauf ein Schwert, mit dem ihr nicht nur Gegner, sondern auch Gräser und Gebüsche ummähen könnt. So legt ihr den nächsten Weg frei, entdeckt eine Höhle, die euch nun in einen kleinen Wald führt. Schon bald erhaltet ihr dort einen Schild, mit dem ihr euch Feinde vom Leib haltet und Geschosse abwehrt.
Und vor allem lernt ihr, mit eurer knappen Ausdaueranzeige umzugehen: Nur wer im richtigen Moment blockt oder eine Ausweichrolle hinlegt, hat auf Dauer eine Chance gegen die ganzen Monster, Schwertkämpfer, Riesenspinnen, Untoten, Maschinen und Okkultisten, die euch aggressiv angreifen. (Spätestens hier wird auch deutlich, dass sich Tunic am besten mit dem Gamepad spielt, die Tastatursteuerung ist kaum zu gebrauchen)
Die Gegner sind zwar hundsdämlich, teilen aber kräftig aus und nehmen auch mal die Verfolgung auf. Haltet darum immer die Augen nach Schatzkisten offen, darin entdeckt ihr hin und wieder enorm wichtige Items, mit denen ihr eure Kampfkraft, Ausdauer und Abwehr dauerhaft steigern könnt. Wie genau das funktioniert, verrät euch das Spiel allerdings nicht einfach so, denn klassische Tutorials werdet ihr in Tunic weit und breit nicht finden.
Die Anleitung müsst ihr euch erst zusammensetzen, dann hält sie nützliche Karten und zig kryptische Hinweise bereit. Quelle: Finji Stattdessen sammelt ihr unterwegs immer wieder Seiten aus einer Spielanleitung, die ihr Stück für Stück zusammensetzt und jederzeit im Pausenmenü studieren könnt. Das digitale Heftchen ist wunderschön im Stil alter Nintendo-Klassiker gestaltet und deckt von der Steuerung über nützliche Karten bis hin zu konkreten Rätseltipps eine ganze Menge ab.
Grundsympathisch: Hier und da finden sich sogar Notizen, die aussehen, als hätte sie jemand mit dem Kugelschreiber direkt ins Heft gekritzelt. Je länger man spielt, je mehr Seiten man findet, desto mehr Zeit verbringt man mit der wertvollen Anleitung – obwohl sie im Grunde schon ein Rätsel für sich darstellt.
Denn auch hier gibt’s massenhaft Texte in kryptischer Symbolsprache, viele Notizen und Funktionen erschließen sich nicht mal auf den zweiten Blick. Ein Allheilmittel ist die Anleitung also nicht, schon allein weil ihr oft mit Features konfrontiert werdet, bevor ihr die passende Seite dazu gefunden habt. Ihr müsst also erst mal selbst rausfinden, was es damit auf sich hat.
So werdet ihr zum Beispiel früher oder später eine von 15 Münzen entdecken. Was man damit tun soll? Ausprobieren! Ab und zu erbeutet ihr auch spezielle Karten, die euch passive Eigenschaften verpassen. Doch welche Eigenschaften sind das genau? Bei manchen Karten wissen wir es immer noch nicht – und wir haben das Ding durchgespielt!
Sogar die Zelda-typischen Bomben, die wir schon früh im Spiel erhalten, haben uns überrascht: Tunic vermittelt uns nämlich zu keinem Zeitpunkt, dass man damit nicht nur Gegnergruppen wegputzen, sondern auch geheime Durchgänge freisprengen kann. Es gibt keine rissigen Wände, keine Hinweise auf brüchige Stellen, nichts, was man in so einem Spiel erwarten würde.
Man muss es einfach ausprobieren. Ebenso schräg: Je mehr Bomben wir kaufen und verwenden, desto mehr bekommen wir danach vom Spiel geschenkt, sobald wir uns an einem Speicherpunkt ausruhen. Der Bombenvorrat wird auf diese Weise immer größer. Eine Begründung? Liefert das Spiel nicht.
Die magische Sanduhr, eines der nützlichsten Items im gesamten Spiel, ist sogar völlig optional: Wer die Welt nicht gründlich absucht und immer wieder daran denkt, die Perspektive mit der Schultertaste zu kippen, läuft vielleicht schnurstracks daran vorbei – dabei ist sie spätestens beim knüppelharten Endboss außerordentlich praktisch.
Entwickler Shouldice genießt es offensichtlich, euch so wenig wie möglich zu erklären. Darauf muss man sich einlassen, sonst kann Tunic schnell eine frustrierende Erfahrung werden. Hat man sich aber erst mal an so manche Eigenheit gewöhnt, kann man auch wunderbar in dem Spiel versinken, das gilt besonders für das Erkunden:
Euer Abenteuer führt euch durch eine zentrale, clever aufgebaute Oberwelt, über die ihr verschiedene Zonen und Dungeons erreicht, darunter Wälder und halb versunkene Tempel, eine Mine, Kanalisationen, eine Art unterirdische Fabrik oder einen Friedhof, den wir nur in Geistergestalt betreten können.
Obwohl das verschachtelte Leveldesign anfangs einschüchternd wirken kann, ist die Spielwelt tatsächlich überraschend kompakt geraten. Hat man dann noch ein paar Geheimgänge und Schnellreisepunkte entdeckt, findet man sich irgendwann mühelos zurecht. Das macht auch das Backtracking erträglich.
Weiter geht’s auf Seite 2!