Ein Spiel, entwickelt von einem Mann, der Spiele hasst: Takeshi no Chousenjou st ein faszinierendes, leider (?) nur in Japan veröffentlichtes Famicom-Spiel mit hanebüchener Handlung, obskuren Mechaniken – und einem Promi auf dem Regiestuhl.
Erinnert ihr euch noch an die schräge Show Takeshi’s Castle, in der eine Gruppe Teilnehmer meist vergeblich versuchte, einen mit Fallen und Hindernissen gespickten Parcours zu meistern, um am Ende die Burg von Takeshi zu erobern? Im Nachmittagsprogramm eines deutschen Sportsenders sorgte die Slapstick-Unterhaltung hauptsächlich beim jungen Publikum für viel Freude, und manch Zuschauer fragte sich: Wer ist eigentlich dieser Takeshi?
Bei Takeshi Kitano, auch unter seinem Künstlernamen Beat Takeshi bekannt, handelt es sich um einen der größten und beliebtesten Stars in Japan. International erlangte der Komiker und Schauspieler nicht nur durch Takeshi’s Castle Berühmtheit, für den Film Hana-Bi, bei dem Kitano die Hauptrolle spielte, Regie führte und das Drehbruch verfasste, erhielt er den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Bei Ghost in the Shell (2017) spielte er neben Scarlett Johansson, in Battle Royale, der Verfilmung des gleichnamigen Romans, überzeugte Kitano in der Rolle als sadistischer Lehrer. Heute kennt man Battle Royale aber vermutlich in erster Linie als Genre, in dem Spieler gegeneinander in einer immer kleiner werdenden Arena antreten, bis der Sieger feststeht – genau wie in der literarischen Vorlage.
In Japan erschien das Spiel 2017 ein weiteres Mal für Smartphone und Tablets. Hier ein Promo-Screenshots
aus der Gleitflug-Sequenz zur Schatzinsel. Quelle: Taito Doch Takeshi Kitano prägte schon lange vor Battle Royale sowie weitaus direkter die Welt der Videospiele, denn 1986 erschien in Japan Takeshi no Chousenjou für Famicom. Übersetzt bedeutet der Titel in etwa “Takeshis Herausforderung”, das Abenteuer entstand bei Taito Corporation. Das Studio gehört zu Square Enix und ist Retro-Liebhabern ein Begriff, programmierte das Team doch Klassiker wie Bubble Bobble, Darius, Asteroids, Space Invaders und vieles mehr.
Bei Takeshi no Chousenjou war Promi Takeshi Kitano der Ideengeber und nicht bloß Werbemittel für das Cover – das erste Mal in der Geschichte der Videospiele! Ursprünglich sollte das Abenteuer tatsächlich nur eine virtuelle Umsetzung von Takeshi’s Castle werden. Kitano aber hatte andere Pläne, klingelte bei Taito durch und überzeugte das Team, ihm die Gestaltung zu überlassen.
Deshalb rennen wir hier nicht über lockere Trittsteine in Wassergräben, weichen als überdimensionierte Bowling-Pins verkleidet Kugeln aus oder versuchen, inmitten eines Labyrinths aus Türen den richtigen Weg zu finden. Stattdessen singen wir Karaoke, verprügeln alte Männer, suchen nach einem Schatz und lassen uns von unserer Frau scheiden. Viele weitere Ideen Kitanos konnten nicht umgesetzt werden, zum einen wegen der Hardware-Beschränkungen der Plattform, zum anderen, weil ein Verkauf an Kinder dann nicht mehr möglich gewesen wäre.
Takeshi no Chousenjou: Weirdes Japano-Spiel mit einzigartiger Entstehungsgeschichte (1) Quelle: Taito Kitano hält Videospiele für ausgemachten Blödsinn, er hasst sie sogar – das steht zumindest auf der Packung von Takeshi no Chousenjou. Auf das ihm ersonnene Werk trifft die Beschreibung Blödsinn sicherlich zu; wohlwollend kann man Takeshi no Chousenjou als Parodie bezeichnen, oder vielleicht gar als Geniestreich, der das interaktive Potenzial des Mediums auf eine Art aufzeigte, wie es sonst nur Hideo Kojima zu seinen besten Zeiten vermochte.
Diese positive Sicht auf Takeshi no Chousenjou ist allerdings eine moderne Erscheinung, damals betrachtete man den Titel deutlich kritischer. Als kuso-gē wurde es etwa in der japanischen Videospielzeitschrift Famitsu bezeichnet, die sonst eher dafür bekannt ist, selbst misslungener Software gnädige Wertungen zu verpassen. Der Begriff setzt sich zusammen aus den japanischen Worten kuso für Mist und gemu für game, also Spiel.
Lauft ihr im Startmenü nach rechts, kommt ihr zum Passwortverwalter. Wenn ihr ihn verprügelt, heißt es schon vor dem Spielstart „Game Over“. Quelle: Taito Dementsprechend ist die treffendste Übersetzung schlichtweg, Verzeihung: Scheißspiel. Auch im Westen wird die Bezeichnung inzwischen verwendet, ist dort aber nicht komplett negativ besetzt und entspricht eher dem Begriff trash, der ja meist einen gewissen Unterhaltungswert impliziert. Die Qualität von Takeshi no Chousenjou mal dahingestellt, mit etwa 800.000 verkauften Einheiten war das Spiel ein Erfolg.
Wie viele unter den Käufern das Ende von Takeshi no Chousenjou erlebt haben? Wohl die wenigsten. Schon auf der Packung stehen Warnungen, bloß nicht mit gesundem Menschenverstand an das Abenteuer heranzugehen, und dass herkömmliche Gaming-Fähigkeiten absolut nutzlos seien. Spielt man Takeshi no Chousenjou selbst, wird rasch klar, dass der Promo-Text der Wahrheit entspricht. Wir gestatten: unsere Zusammenfassung von Story und Gameplay in Takeshi no Chousenjou.
Takeshi ist Angestellter in einer japanischen Großstadt, hat Frau und Kinder. Er will aus seinem Korsett der Verpflichtungen ausbrechen und Schatzjäger werden, das klingt nach Midlife-Crisis, und wir sollen ihm dabei helfen. Takeshi no Chousenjou wird aus der Seitenansicht gespielt, Takeshi kann springen, sich ducken, laufen, mit den Fäusten um sich schlagen und diverse Entscheidungen treffen sowie Gespräche führen.
Es handelt sich also um ein klassisches Action-Adventure. Aber der Reihe nach: Um seinen Traum zu verwirklichen, muss sich Takeshi zunächst lästiger Verantwortung entledigen, etwa der gegenüber Frau und Nachwuchs. Da so eine Scheidung teuer ist, empfiehlt ein Walkthrough für Takeshi no Chousenjou, als erste Handlung im Abenteuer zur Bank zu gehen und das Konto aufzulösen, um die Kohle vor dem Zugriff der zukünftigen Ex-Frau zu schützen. Investiert wird der Zaster in der nächsten Bar, wo Alkohol fließt, bis Takeshi schwarz vor Augen wird.
Irgendwie hat es Takeshi wohl nach Hause geschafft, wo Kinder und Ehefrau jedoch aggressiv reagieren. Die perfekte Gelegenheit, um die Karten sowie Scheidungspapiere auf den Tisch zu legen, noch etwas Geld an die glückliche Ex-Frau abzutreten und auf die Arbeit zu gehen, um dort die Kündigung einzureichen und das letzte Gehalt einzustreichen. Frei von Belastungen wie Familie und Job stehen Takeshi nun diverse Beschäftigungen zur Verfügung.
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